Ein Blick zurück – Geschichte der Gesellschaft

Die Gesellschaft zu Ober-Gerwern ist aus der mittelalterlichen Zunft der Gerber und Lederhändler (deren erste Satzung von 1332 war zugleich die älteste bernische Handwerksordnung) und insbesondere aus der Vereinigung der Oberen und der Niederen Gerber im Jahre 1578 hervorgegangen.

Ihren Ursprung hat die Gesellschaft zu Ober-Gerwern – wie jede andere bernische Zunft/Gesellschaft – im Handwerk. Im Spätmittelalter waren die Meister massgebend für Ausbildung, Qualitätskontrolle und Handel. Die Regierung übte zwar die Oberaufsicht aus, respektierte aber die Autonomie der Zünfte. Daraus entwickelten sich, neben gewerblichen Aktivitäten, manche Gemeinsamkeiten, die unter dem Begriff «Stube» zusammengefasst wurden.

Ober-Gerwern war zusammen mit der Schwesterzunft zu Mittellöwen eine der vier Vennerzünfte (Ober- und Niedergerbern, Metzgern, Pfistern und Schmieden). Venner waren ursprünglich Quartieraufseher und Kommandanten der damals nach den Stadtquartieren geordneten militärischen Auszügen. Bereits im 14. Jhd. wurde jedoch das Venneramt von den Stadtquartieren abgelöst und den Vennerzünften übertragen. Das südöstliche Vennerviertel war das «Gerbernviertel» (begrenzt durch Gerechtigkeitsgasse – südliche Kreuzgasse – Aarelauf entlang der Matte). Dem Gerbern-Venner unterstand ferner das Landgericht Zollikofen, ein ausgedehntes Gebiet zwischen Aare und Emme nördlich von Bern.

Bereits 1666 wurde geklagt, dass das einst blühende Gerberhandwerk rückläufig sei, was zu einem Lederimportverbot in der Stadt führte. Doch der Niedergang der Stadtberner Gerberei liess sich nicht aufhalten. Im 18. Jahrhundert befasste sich die Gesellschaft zu Ober-Gerwern wenig und schliesslich gar nicht mehr mit dem Handwerk, aus dem sie hervorgegangen war. Die Hauptbeschäftigung vieler Gesellschafter wurde die Politik. Die Ober-Gerwern und Mittellöwen hatten zusammen die meisten Vertreter in den Räten. Die vornehmsten Ober-Gerwern-Familien lieferten überdies fast allen europäischen Armeen Generale und hohe Offiziere.

Die Gerber waren zu Beginn an der unteren Gerechtigkeitsgasse tätig, mussten aber schon früh in den alten Stadtgraben südlich des Zeitglockenturms («Gerberngraben» – heute Parkhaus Bellevue), später auch in die Matte (Gerberngasse) umziehen. Der Grund lag darin, dass das Gewerbe der Gerber den Stadtbach verunreinigte und Geruchsbelästigungen verursachte.

Um 1430 erwarben die Ober-Gerwern ihr Zunfthaus am aufgefüllten alten Stadtgraben oberhalb des Gerberngrabens. Zwischen 1565-1567 liessen sie es von Grund auf neu bauen (heute Theaterplatz 2 mit dem markanten «Gerbernturm»). Damit wurde die wirtschaftliche Kraft des Ledergewerbes, der weitaus einträglichsten Exportindustrie im mittelalterlichen Bern, demonstriert.

1806 bezogen die Ober-Gerwern das heutige Gesellschaftshaus an der Marktgasse 45/Amthausgasse 28 (dieses wurde 1965-1968 vollständig renoviert). Hauszeichen und Wappentier war und ist ein schwarzer Löwe.

Wer noch mehr über die Gesellschaftsgeschichte wissen möchte, kann das Buch von Christoph von Steiger: «Die Gesellschaft zu Ober-Gerwern», das 1997 im Stämpfli-Verlag erschienen ist, beim Sekretariat der Gesellschaft, Bundesgasse 16, 3011 Bern, Tel. 031/311 18 55, erwerben.

aus: Christoph von Steiger, Die Gesellschaft zu Ober-Gerwern Bern, 1997, Stämpfli AG;
Artikel in der Zeitung Der Bund vom 20.08.1977 mit dem Titel Die Gesellschaft zu Ober-Gerwern

Das alte Zunfthaus vom Kornhausplatz gegen Süden gesehen (Johann Anton Grimm, um 1742)

nach Rekonstruktion 1968

nach Umbau 1966/68